Über die Psycho-Chirologie
Von allen Ausdruckswissenschaften ist die Chirologie, die Lehre von der Handform und dem Relief des Handinnern, das Stiefkind hinsichtlich ihrer Geltung und seriösen Beachtung. Sie ist diejenige Ausdruckslehre, die immer noch unter dem Odium der Wahrsagerei und Scharlatanerie zu leiden hat. Dieses erklärt sich wohl in der Hauptsache daraus, dass das große Publikum, einschließlich der Ärzte, Lehrer, Pädagogen und Psychologen, Chirologie mit Chiromantie verwechselt.
Es sei hier zunächst einmal auf den Unterschied zwischen Chirologie und Chiromantie hingewiesen: Die Chirologie ist die Lehre von der Handform, den Fingern, den Nägeln und den Linien der inneren Handflächen. Aus der Kombination diese Erscheinungen setzt sie sich zur Aufgabe, ein Gesamtbild der Persönlichkeit in ihrem charakterologisch-psychologischen Zusammenhang unter Berücksichtigung der Anlagen, Begabungen, Berufseignungen, Krankheitsdispositionen und Erlebnisse zu formen. Wesentlich ist hierbei, dass kein einzelnes Zeichen und keine einzelne Linie für sich allein bewertet werden, sondern nur die Kombination und der Zusammenhang aller genannten Erscheinungen entscheidend ist.
Die Chiromantie schließt aus den einzelnen Zeichen der Hand auch auf Eigenschaften der Persönlichkeit und Charakteranlagen, ohne aber das Dynamische und Psychologische zu berück-sichtigen. Sie stellt also in der Hauptsache aus den einzelnen Zeichen der Hand äußere Ereignisse und Lebensumstände fest, ohne diese Ereignisse aus bestimmten Charaktereigenschaften abzuleiten. Daher läuft die Chiromantie in der Hauptsache auf Zukunftsvoraussagen hinaus. Nun ist freilich die Scheidung zwischen Chirologie und Chiromantie in der Praxis keine allzu scharfe, da sehr viele Handdeuter, die sich Chirologen nennen, dennoch chiromantisch in der alten Manier der Einzelzeichendeutung vorgehen, also im Wesentlichen Zukunftsereignisse voraussagen.
Mit der reinen Chirologie haben sich verschiedene Gelehrte, Ärzte und andere bedeutende Wissenschaftler in der Vergangenheit befasst und über sie geschrieben. Ich nenne hier nur: Aristoteles, Savonarola, Lavater in seiner berühmten Physiognomik, Paracelsus und am ausführlichsten der Arzt und Philosoph Carl Gustav Carus in seiner SYMBOLIK DER MENSCHLICHEN GESTALT .
In den Jahren 1650–1730 war die Chirologie sogar offizieller Vorlesungsgegenstand an den deutschen Universitäten Leipzig und Halle. Wer sich über die Geschichte der Chirologie orientieren will, lese darüber in dem Buch von Rudolf Engelhard DAS WISSEN VON DER HAND nach.
Meine Methode, die aufgrund einer 30-jährigen autodidaktischen Erfahrung zustande gekommen ist und die aus der alten Lehre in der Hauptsache nur das Gerüst der vier Hauptlinien übernommen hat, unterscheidet sich von allen bisher vorhandenen Methoden in Folgendem: Ich gehe nicht vom Statischen allein aus, sondern vom Statischen und Dynamischen, und zwar hauptsächlich von Letzterem.
Ich lege den größten Wert auf die Einbeziehung der Vorfahren in die Analyse der Hand – und zwar sowohl in biologischer als auch in psychologischer Beziehung.
Die menschliche Seele ist nicht feststehend, sondern in ständiger Bewegung. Der Mensch hat Anlagen, die je nach Einfluss der Umgebung, Erziehung und sonstigen Eindrücke bewusster und unbewusster Art gefördert und entwickelt oder gehemmt und unterdrückt werden können. Die Aufgabe des Chirologen ist es demnach, festzustellen, wie die Persönlichkeit ursprünglich veranlagt ist und inwieweit sie durch die genannten Einflüsse und andere wesensfremde Kräfte an der Entfaltung ihrer ursprünglichen Anlagen gehindert wird.
Die Absicht meiner Arbeit ist es also, nicht nur zu deuten und festzustellen, wie der Mensch in seinen tatsächlichen Äußerungen beschaffen ist, sondern auch darauf hinzuweisen, welche Möglichkeiten er hat, was er sein könnte und wohin sein inneres Wesen tendiert. Wie ich schon im ersten Kapitel kurz bemerkte, ist es zur Aufklärung und Feststellung der Totalität eines Menschen notwendig, ihn von seiner Herkunft und allen damit zusammenhängenden psychologischen oder biologischen Fakten aus zu erfassen. Daher gilt bei mir die Berücksichtigung der rechten Hand als Vorfahren-Hand mit ihrer wesenhaften Beziehung zu der Persönlichkeit. Über diese Beziehung der rechten als Vorfahren-Hand zur linken als Persönlichkeitshand wird in einem späteren Kapitel ausführlich berichtet.
Ich lege beim praktischen Vorgehen der Handdeutung großen Wert auf die Vergangenheit, weil nur aus der Vergangenheit die Gegenwart zu verstehen ist und aus dem richtigen Verständnis der Gegenwart und ihrer sinngemäßen Einordnung in die Totalität der Persönlichkeit die Voraussetzungen für eine positive Entwicklung gegeben werden. Wenn ich also besonderen Wert auf alle Erlebnisse und Eindrücke aus der Vergangenheit lege, so muss ich logischerweise umso schärfer jegliche Aussage über die Zukunft, Ereignisse betreffend, ablehnen, da ich hierdurch die Mitarbeit des Menschen an seiner Entwicklung ausschließe.
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