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Claudius Galenos (129 - 199) wurde als Sohn eines Architekten in Pergamon geboren. Im Alter von 20 Jahren begab er sich auf Studienreise. Im Jahr 161 ließ er sich in Rom nieder und wurde später der Leibarzt des Kaisers. Er schrieb zahlreiche medizinische Abhandlungen. Auf ihn geht die Säftelehre zurück. |
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Hippokrates (um 460 v. Chr. - um 370 v. Chr.) wurde schon früh von seinem Vater in die ärztliche Kunst eingewiesen. Seine diagnostischen Befunde beschaffte er sich durch Beobachtung. Er hinterließ ein umfangreiches geschriebenes Werk und prägt bis heute das Leitbild vom idealen Arzt. |
Claudios Galenos
1. Kapitel: Er lobt die mathematische Wissenschaft, insbesondere die Astrologie, und behauptet, dass sie in der Medizin nützlich ist.Um nämlich zu beweisen, dass die mathematische Wissenschaft unerlässlich ist, genügte auch schon die Autorität der Philosophen der Stoa, die einerseits sehr sorgfältig Bücher ausarbeiteten, andererseits auch zeigten, was das Leben ist. Nichtsdestoweniger aber, weil wir jetzt davon reden, welche Kunst die Medizin verheißt, ist es notwendig, die Zeugnisse derer beizubringen, die in dieser Kunst äußerst bewährt waren, sodass allen bekannt wird, dass auch diese Ärzte, die man herbeiziehen muss, wenn auch nicht alle, so doch die meisten überall erzählt haben, dass als der vorausschauenden Teil ihrer Kunst jener der mathematischen Wissenschaft gut geheißen ist. Hippokrates also, gerade durch sein Alter bekannt und durch seine Wissenschaft bewundernswürdig, sagt: „Wer auch immer, der die Medizin ausübt, nicht an der Physiognomie Anteil hat, dessen Geist ist in Dunkelheit herabgesunken, erstarrt und altert.“ Nicht nur sagte er, dass sie nicht eben richtig handeln, sondern auch irren werden, denn er betone, dass der Geist derer durch die Dunkelheit umherschweift, welche die Physiognomie nicht berücksichtigen. Aber gerade die Physiognomie ist der bedeutendste Teil der Astrologie. Wer also irgendeinen Teil lobt, feiert umso mehr jenes Ganze.
Aber Diocles Carystius, ein Arzt und Rhetor, versichert nicht nur selbst, wie Du ja auch weißt, sondern obendrein auch die Alten, dass sie üblicherweise durch das Licht und den Lauf des Mondes Voraussagen über Krankheiten anfertigen. Wenn also viele solcher Männer von Würde und Wissenschaft nicht nur Erben jenes Vorauswissens sind, das es in der Medizin selbst gibt, sondern, nachdem sie zu Gewährsmännern der mathematisch-prognostischen Verfahrensweise wurden, diese auch bezeugen – wie könnten diese Menschen, die sie gleichsam mit den Händen empfingen und die Frucht der Mühen anderer erhielten, zweifeln? Deshalb also, teuerster Aphrodisius, wenn Du sorgsam die Art und Weise eines Decubitus untersucht hast und den genannten Gelehrten gefolgt bist, wirst Du aus dem schönsten Teil Deiner Kunst die Frucht der Vorausschau ernten und vorhersagen, was den Kranken zustoßen wird. Nun aber beginnen wir die Abhandlung.
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Volker Schendel 09.10.2025
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„Der Krankheitsverlauf im Horoskop – Wie kann man den Verlauf einer Krankheit im Horoskop erkennen?“ aus dem Chiron Verlag verbindet auf bemerkenswerte Weise die antiken Lehren von Hippokrates und Claudius Galenos mit einer modernen astrologisch-medizinischen Betrachtungsweise. Es umfasst 144 Seiten im hochwertigen Hardcover, mit fünf anschaulichen Abbildungen, und ist klar in das astrologisch ausgerichtete Programm des Verlags eingebettet, das sich seit Jahrzehnten der Wiederbelebung klassischer astrologischer Traditionen widmet. Schon die Einleitung macht deutlich, dass hier nicht nur historische Medizin behandelt wird, sondern ein lebendiger Interpretationsansatz vorliegt, der die Konzepte der beiden Ärzte ins Horoskop überträgt und weiterführt. Herausgegeben von Reinhardt Stiehle, einem Experten für klassische Astrologie, der bereits zahlreiche Werke zur Traditionellen Astrologie verfasst hat, und übersetzt von Janine Deus und Josef Fuchs, wird dieses Buch zu einer Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Stiehles sensible Bearbeitung sorgt dafür, dass die alten Texte nicht als staubige Relikte wirken, sondern als inspirierende Werkzeuge für heutige Praktiker. Der Chiron Verlag, bekannt für seine präzisen Editionen antiker und mittelalterlicher astrologischer Schriften, hat hier wieder einmal ein Juwel geschaffen, das nicht nur Sammler, sondern vor allem aktive Astrologen und Heilinteressierte begeistert.
Um den Reiz dieses Buches voll zu würdigen, lohnt ein kleiner Blick in den historischen Kontext, der weit über die bloße Nennung von Hippokrates und Galenos hinausgeht. Hippokrates von Kos, der „Vater der Medizin“ (ca. 460–370 v. Chr.), revolutionierte das Verständnis von Krankheit, indem er sie als natürliches Ungleichgewicht der vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – sah, beeinflusst von Jahreszeiten, Ernährung und Lebensstil. Keine göttliche Strafe mehr, sondern ein rationaler Prozess, der durch Beobachtung und Prognose gesteuert werden konnte. In der hippokratischen Tradition, die in der berühmten „Prognostischen Sammlung“ kulminiert, finden sich erste Ansätze zur astrologischen Einbindung: Die Sterne als Spiegel kosmischer Rhythmen, die den menschlichen Körper widerspiegeln. Ihm wird die oft zitierte Maxime zugeschrieben – ob authentisch oder später zugeschrieben –, dass ein vollständiger Arzt die Gestirne kennen müsse, um die Krisen und Wendepunkte einer Krankheit vorauszusehen. Diese Idee floss in die hellenistische Astrologie ein und wurde zu einem Grundstein der medizinischen Astrologie.
Claudius Galenos (129–ca. 216 n. Chr.), der große Systematiker der römischen Medizin, baute darauf auf und verfeinerte die Lehre der Temperamente. Er verknüpfte die Qualitäten warm/kalt und feucht/trocken mit den vier Elementen – Feuer, Wasser, Luft, Erde – und wies sie den Planeten und Tierkreiszeichen zu: Der cholerische (feurige) Typ dem Mars und Widder, der sanguinische (luftige) dem Jupiter und Waage usw. Galenos sah den Organismus als dynamisches Gefüge harmonischer oder gestörter Kräfte, wo Krankheiten durch ein Ungleichgewicht entstehen, das durch Diätetik, Pharmakologie und – nicht zu vergessen – astrologische Prognosen ausgeglichen werden kann. In seinen Werken wie „De diebus decretoriis“ (Über die entscheidenden Tage) beschreibt er detailliert, wie Mondphasen und Planetenkonstellationen den Verlauf einer Erkrankung beeinflussen. Diese Texte bilden den Kern des vorliegenden Bandes, ergänzt um spätere Kommentare von Autoren wie Andrea Argolus aus dem 16. Jahrhundert oder Nicholas Culpeper, dem englischen Herbalisten des 17. Jahrhunderts, der die galenische Tradition mit herbalistischer Astrologie verknüpfte. So wird das Buch zu einer Chronik der medizinischen Astrologie, die von der Antike über das Mittelalter bis in die Renaissance reicht.
Der Kern des Buches liegt darin, nicht nur die Disposition zu Krankheiten im Horoskop zu erkennen, sondern darüber hinaus den möglichen Verlauf einer Erkrankung zu deuten. Es handelt sich um eine tiefere Stufe astrologischer Diagnostik: Der Leser wird angeleitet, Krankheitsentwicklungen zeitlich und inhaltlich im Horoskop nachzuvollziehen. Dazu greift der Herausgeber auf zentrale methodische Werkzeuge zurück – empfindliche Punkte wie Sonne, Mond, Aszendent und deren Herrscher sowie das sechste Haus, Transit-Analysen über diese Punkte, Direktionen und Progressionen, und besonders das Dekumbiturhoroskop, also das Horoskop für den Moment, in dem eine Krankheit akut wird. Das Dekumbitur, ein zentrales Konzept der traditionellen medizinischen Astrologie, ist hier meisterhaft beleuchtet: Es wird als „Geburtsstunde“ der Krankheit verstanden, deren Konstellation den gesamten Verlauf vorhersagt – von der Intensität über kritische Tage bis zur Auflösung. Stiehle erklärt in seiner Einleitung, wie man das genaue Zeitfenster für das Dekumbitur ermittelt: Oft der erste Moment des Symptombeginns, idealerweise mit genauer Uhrzeit, da Ungenauigkeiten die Interpretation trüben können. Der Mond nimmt eine Schlüsselrolle ein, seine Aspekte zu Jupiter oder Venus signalisieren oft eine milder werdende oder heilende Tendenz, während Verbindungen zu Mars oder Saturn eine Verschärfung oder lange Krankheitsdauer ankündigen können. Diese Nuancen werden durch Zitate aus den Originaltexten illustriert, die den Leser direkt in die antike Denkweise eintauchen lassen.
Das Buch gliedert den Krankheitsverlauf in mehrere Stadien: vom initialen Ausbruch über die akute Phase und mögliche Wendepunkte bis zur Rekonvaleszenz und den Rezidivphasen. Jedes Stadium wird mit charakteristischen astrologischen Indikatoren untermauert, etwa der Bedeutung des Herrschers des sechsten Hauses, der Rolle bestimmter Mond-Aspekte oder der zeitlichen Dynamik von Transiten und Progressionen. Der Leser erhält dadurch ein Modell, das sowohl Prognosecharakter hat als auch auf konkrete Fallstudien anwendbar ist. Besonders beeindruckend ist die Integration der „kritischen Tage“-Theorie, die auf Galenos zurückgeht: Diese sind Momente, in denen der Mond bestimmte Aspekte zu den malefischen Planeten (Mars, Saturn) bildet und den Höhepunkt oder die Wende einer Krankheit markieren. Stiehle kontrastiert dies mit modernen Prognosetechniken wie Sekundärprogressionen, wo ein Tag für ein Jahr steht, und zeigt, wie ein progressiver Mond-Aspekt zu einem natalem Saturn eine verlängerte Genesung andeuten kann. Solche Verbindungen machen das Buch nicht nur theoretisch, sondern hochpraktisch – ideal für Astrologen, die in Beratungen medizinische Themen berühren möchten.
Historisch setzt das Werk Hippokrates und Galenos als Grundpfeiler. Wie bereits angedeutet, verstand Hippokrates Krankheit als natürliches Ungleichgewicht im Körper, nicht als göttliche Strafe, und betonte die Rolle von Diätetik und Lebensführung. In der Tradition späterer astrologischer Schulen wurde ihm die Maxime zugeschrieben, ein Arzt müsse die Gestirne kennen, um vollständig zu sein. Galenos wiederum systematisierte die Lehre der Temperamente und knüpfte diese an die Qualitäten warm/kalt und feucht/trocken, die sich astrologisch mit Zeichen und Planeten verknüpfen lassen. Er verstand den Organismus als dynamisches Gefüge, das durch harmonische oder gestörte Kräfte gesteuert wird – eine Sicht, die sich nahtlos in astrologische Interpretationen einfügt. Doch der historische Bogen spannt sich weiter: Das Werk zeigt außerdem, wie diese antiken Grundlagen in der mittelalterlichen und islamischen medizinischen Astrologie weiterentwickelt wurden. Im islamischen Goldenen Zeitalter (8.–13. Jh.) übernahmen Gelehrte wie Hunayn ibn Ishaq oder Abu Ma'shar die galenischen Texte, übersetzten sie ins Arabische und erweiterten sie um Fixstern-Analysen und präzise Tabellen für Dekumbituren. Abu Ma'shar, in seinem „Kitab al-Mudkhal al-Kabir“ (Große Einleitung zur Astrologie), integrierte medizinische Prognosen in die große Synthese von Ptolemaios' Tetrabiblos, und betonte die Rolle von Lots (Loswürfen) und arabischen Punkten wie dem Teil des Unheils. Im christlichen Mittelalter flossen diese Ideen über die Schule von Salerno nach Europa, wo Mönchsärzte wie Constantinus Africanus die Temperamentlehre mit lokalen Kräuterkunden verknüpften. Auch wenn sich die naturwissenschaftliche Medizin später von galenischen Modellen entfernte – denken wir an die Renaissance mit Vesalius' Anatomie oder die Aufklärung mit ihrem Empirismus –, blieb der astrologisch-medizinische Ansatz in bestimmten Schulen lebendig, etwa in der englischen Tradition von William Lilly oder in der kontinentalen Astrologie des 19. Jahrhunderts. Und genau hier steht das Chiron-Buch als zeitgenössischer Vertreter, der diese Fäden aufnimmt und für das 21. Jahrhundert neu spinnt.
Die Darstellung bleibt dabei offen für methodische Selbstkritik: Ungenaue Zeitangaben können die Aussagekraft des Dekumbiturhoroskops mindern, multiple Einflüsse aus Genetik, Umwelt und Psyche laufen zusammen, und individuelle Konstitutionen führen dazu, dass gleiche Transite unterschiedliche Wirkungen haben können. Der Herausgeber betont, dass dieses Modell keine kausalmedizinische Erklärung ersetzt, sondern als symbolische Ergänzung gedacht ist – eine Haltung, die ich als äußerst verantwortungsvoll empfinde. In einer Zeit, in der ganzheitliche Ansätze wie Integrative Medizin oder Psychoneuroimmunologie an Boden gewinnen, erinnert uns das Buch daran, dass Astrologie als Werkzeug der Selbstreflexion und des Timings dienen kann, ohne dogmatisch zu werden. Stiehle warnt zudem vor der Gefahr der Selbstdiagnose und plädiert für eine interdisziplinäre Herangehensweise, bei der astrologische Einsichten mit konventioneller Medizin harmonieren.
Besonders wertvoll sind die anschaulichen Beispiele, die den theoretischen Rahmen greifbar machen: Ein Transit von Saturn über den MC kann eine schwere Krankheitsphase markieren, ein späterer Jupiter-Transit über denselben Punkt den Beginn der Genesung. Ein Mond-Transit im sechsten Haus mit Aspekt zu Mars oder Saturn kann mit akuten Beschwerden oder Entzündungen einhergehen, während eine Progression, die zeitlich exakt mit dem Symptombeginn zusammenfällt, als prägnanter Zeitmarker dienen kann. Das Buch geht darüber hinaus und bietet hypothetische Fallstudien, inspiriert von historischen Berichten: Stellen Sie sich vor, ein Dekumbitur mit Mond in Konjunktion zu Mars im Skorpion – ein Szenario für entzündliche Prozesse im Unterleib, das durch einen anschließenden Venus-Aspekt gemildert wird. Oder ein Beispiel aus Galenos' Praxis: Eine Fieberkrankheit, deren Höhepunkt der siebte kritische Tag markiert, wenn der Mond den Aszendenten des Dekumbiturs affiziert. Diese Illustrationen, unterstützt von den fünf Abbildungen (darunter Horoskop-Charts und Temperament-Diagramme), machen das Komplexe zugänglich und laden zum eigenen Experimentieren ein. Für Fortgeschrittene gibt es zudem Hinweise auf erweiterte Techniken, wie die Berücksichtigung von Teilern (Lots) oder die Integration von Fixsternen wie Algol für schwere Verläufe.
Insgesamt ist das Buch eine gelungene Synthese aus historischem Fundament, astrologischer Methodik und praktischer Anwendbarkeit. Es lehrt den Leser nicht nur, Krankheitsanfälligkeiten im Horoskop zu erkennen, sondern den gesamten Prozess – von der Manifestation bis zur Heilung oder zum Rückfall – astrologisch zu begleiten. Damit ist es sowohl für astrologisch-medizinische Praktiker als auch für historisch interessierte Leser ein sorgfältig aufgebautes, anregendes und praxisnahes Werk, das die Weisheit von Hippokrates und Galenos in ein heutiges Interpretationsmodell überträgt. Krankheitsverlauf im Horoskop – Wie kann man den Verlauf einer Krankheit im Horoskop erkennen?“ aus dem Chiron Verlag verbindet auf bemerkenswerte Weise die antiken Lehren von Hippokrates und Claudius Galenos mit einer modernen astrologisch-medizinischen Betrachtungsweise. Es umfasst 144 Seiten im hochwertigen Hardcover, mit fünf anschaulichen Abbildungen, und ist klar in das astrologisch ausgerichtete Programm des Verlags eingebettet, das sich seit Jahrzehnten der Wiederbelebung klassischer astrologischer Traditionen widmet. Schon die Einleitung macht deutlich, dass hier nicht nur historische Medizin behandelt wird, sondern ein lebendiger Interpretationsansatz vorliegt, der die Konzepte der beiden Ärzte ins Horoskop überträgt und weiterführt. Herausgegeben von Reinhardt Stiehle, einem Experten für klassische Astrologie, der bereits zahlreiche Werke zur Traditionellen Astrologie verfasst hat, und übersetzt von Janine Deus und Josef Fuchs, wird dieses Buch zu einer Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Stiehles sensible Bearbeitung sorgt dafür, dass die alten Texte nicht als staubige Relikte wirken, sondern als inspirierende Werkzeuge für heutige Praktiker. Der Chiron Verlag, bekannt für seine präzisen Editionen antiker und mittelalterlicher astrologischer Schriften, hat hier wieder einmal ein Juwel geschaffen, das nicht nur Sammler, sondern vor allem aktive Astrologen und Heilinteressierte begeistert.
Um den Reiz dieses Buches voll zu würdigen, lohnt ein kleiner Blick in den historischen Kontext, der weit über die bloße Nennung von Hippokrates und Galenos hinausgeht. Hippokrates von Kos, der „Vater der Medizin“ (ca. 460–370 v. Chr.), revolutionierte das Verständnis von Krankheit, indem er sie als natürliches Ungleichgewicht der vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – sah, beeinflusst von Jahreszeiten, Ernährung und Lebensstil. Keine göttliche Strafe mehr, sondern ein rationaler Prozess, der durch Beobachtung und Prognose gesteuert werden konnte. In der hippokratischen Tradition, die in der berühmten „Prognostischen Sammlung“ kulminiert, finden sich erste Ansätze zur astrologischen Einbindung: Die Sterne als Spiegel kosmischer Rhythmen, die den menschlichen Körper widerspiegeln. Ihm wird die oft zitierte Maxime zugeschrieben – ob authentisch oder später zugeschrieben –, dass ein vollständiger Arzt die Gestirne kennen müsse, um die Krisen und Wendepunkte einer Krankheit vorauszusehen. Diese Idee floss in die hellenistische Astrologie ein und wurde zu einem Grundstein der medizinischen Astrologie.
Claudius Galenos (129–ca. 216 n. Chr.), der große Systematiker der römischen Medizin, baute darauf auf und verfeinerte die Lehre der Temperamente. Er verknüpfte die Qualitäten warm/kalt und feucht/trocken mit den vier Elementen – Feuer, Wasser, Luft, Erde – und wies sie den Planeten und Tierkreiszeichen zu: Der cholerische (feurige) Typ dem Mars und Widder, der sanguinische (luftige) dem Jupiter und Waage usw. Galenos sah den Organismus als dynamisches Gefüge harmonischer oder gestörter Kräfte, wo Krankheiten durch ein Ungleichgewicht entstehen, das durch Diätetik, Pharmakologie und – nicht zu vergessen – astrologische Prognosen ausgeglichen werden kann. In seinen Werken wie „De diebus decretoriis“ (Über die entscheidenden Tage) beschreibt er detailliert, wie Mondphasen und Planetenkonstellationen den Verlauf einer Erkrankung beeinflussen. Diese Texte bilden den Kern des vorliegenden Bandes, ergänzt um spätere Kommentare von Autoren wie Andrea Argolus aus dem 16. Jahrhundert oder Nicholas Culpeper, dem englischen Herbalisten des 17. Jahrhunderts, der die galenische Tradition mit herbalistischer Astrologie verknüpfte. So wird das Buch zu einer Chronik der medizinischen Astrologie, die von der Antike über das Mittelalter bis in die Renaissance reicht.
Der Kern des Buches liegt darin, nicht nur die Disposition zu Krankheiten im Horoskop zu erkennen, sondern darüber hinaus den möglichen Verlauf einer Erkrankung zu deuten. Es handelt sich um eine tiefere Stufe astrologischer Diagnostik: Der Leser wird angeleitet, Krankheitsentwicklungen zeitlich und inhaltlich im Horoskop nachzuvollziehen. Dazu greift der Herausgeber auf zentrale methodische Werkzeuge zurück – empfindliche Punkte wie Sonne, Mond, Aszendent und deren Herrscher sowie das sechste Haus, Transit-Analysen über diese Punkte, Direktionen und Progressionen, und besonders das Dekumbiturhoroskop, also das Horoskop für den Moment, in dem eine Krankheit akut wird. Das Dekumbitur, ein zentrales Konzept der traditionellen medizinischen Astrologie, ist hier meisterhaft beleuchtet: Es wird als „Geburtsstunde“ der Krankheit verstanden, deren Konstellation den gesamten Verlauf vorhersagt – von der Intensität über kritische Tage bis zur Auflösung. Stiehle erklärt in seiner Einleitung, wie man das genaue Zeitfenster für das Dekumbitur ermittelt: Oft der erste Moment des Symptombeginns, idealerweise mit genauer Uhrzeit, da Ungenauigkeiten die Interpretation trüben können. Der Mond nimmt eine Schlüsselrolle ein, seine Aspekte zu Jupiter oder Venus signalisieren oft eine milder werdende oder heilende Tendenz, während Verbindungen zu Mars oder Saturn eine Verschärfung oder lange Krankheitsdauer ankündigen können. Diese Nuancen werden durch Zitate aus den Originaltexten illustriert, die den Leser direkt in die antike Denkweise eintauchen lassen.
Das Buch gliedert den Krankheitsverlauf in mehrere Stadien: vom initialen Ausbruch über die akute Phase und mögliche Wendepunkte bis zur Rekonvaleszenz und den Rezidivphasen. Jedes Stadium wird mit charakteristischen astrologischen Indikatoren untermauert, etwa der Bedeutung des Herrschers des sechsten Hauses, der Rolle bestimmter Mond-Aspekte oder der zeitlichen Dynamik von Transiten und Progressionen. Der Leser erhält dadurch ein Modell, das sowohl Prognosecharakter hat als auch auf konkrete Fallstudien anwendbar ist. Besonders beeindruckend ist die Integration der „kritischen Tage“-Theorie, die auf Galenos zurückgeht: Diese sind Momente, in denen der Mond bestimmte Aspekte zu den malefischen Planeten (Mars, Saturn) bildet und den Höhepunkt oder die Wende einer Krankheit markieren. Stiehle kontrastiert dies mit modernen Prognosetechniken wie Sekundärprogressionen, wo ein Tag für ein Jahr steht, und zeigt, wie ein progressiver Mond-Aspekt zu einem natalem Saturn eine verlängerte Genesung andeuten kann. Solche Verbindungen machen das Buch nicht nur theoretisch, sondern hochpraktisch – ideal für Astrologen, die in Beratungen medizinische Themen berühren möchten.
Historisch setzt das Werk Hippokrates und Galenos als Grundpfeiler. Wie bereits angedeutet, verstand Hippokrates Krankheit als natürliches Ungleichgewicht im Körper, nicht als göttliche Strafe, und betonte die Rolle von Diätetik und Lebensführung. In der Tradition späterer astrologischer Schulen wurde ihm die Maxime zugeschrieben, ein Arzt müsse die Gestirne kennen, um vollständig zu sein. Galenos wiederum systematisierte die Lehre der Temperamente und knüpfte diese an die Qualitäten warm/kalt und feucht/trocken, die sich astrologisch mit Zeichen und Planeten verknüpfen lassen. Er verstand den Organismus als dynamisches Gefüge, das durch harmonische oder gestörte Kräfte gesteuert wird – eine Sicht, die sich nahtlos in astrologische Interpretationen einfügt. Doch der historische Bogen spannt sich weiter: Das Werk zeigt außerdem, wie diese antiken Grundlagen in der mittelalterlichen und islamischen medizinischen Astrologie weiterentwickelt wurden. Im islamischen Goldenen Zeitalter (8.–13. Jh.) übernahmen Gelehrte wie Hunayn ibn Ishaq oder Abu Ma'shar die galenischen Texte, übersetzten sie ins Arabische und erweiterten sie um Fixstern-Analysen und präzise Tabellen für Dekumbituren. Abu Ma'shar, in seinem „Kitab al-Mudkhal al-Kabir“ (Große Einleitung zur Astrologie), integrierte medizinische Prognosen in die große Synthese von Ptolemaios' Tetrabiblos, und betonte die Rolle von Lots (Loswürfen) und arabischen Punkten wie dem Teil des Unheils. Im christlichen Mittelalter flossen diese Ideen über die Schule von Salerno nach Europa, wo Mönchsärzte wie Constantinus Africanus die Temperamentlehre mit lokalen Kräuterkunden verknüpften. Auch wenn sich die naturwissenschaftliche Medizin später von galenischen Modellen entfernte – denken wir an die Renaissance mit Vesalius' Anatomie oder die Aufklärung mit ihrem Empirismus –, blieb der astrologisch-medizinische Ansatz in bestimmten Schulen lebendig, etwa in der englischen Tradition von William Lilly oder in der kontinentalen Astrologie des 19. Jahrhunderts. Und genau hier steht das Chiron-Buch als zeitgenössischer Vertreter, der diese Fäden aufnimmt und für das 21. Jahrhundert neu spinnt.
Die Darstellung bleibt dabei offen für methodische Selbstkritik: Ungenaue Zeitangaben können die Aussagekraft des Dekumbiturhoroskops mindern, multiple Einflüsse aus Genetik, Umwelt und Psyche laufen zusammen, und individuelle Konstitutionen führen dazu, dass gleiche Transite unterschiedliche Wirkungen haben können. Der Herausgeber betont, dass dieses Modell keine kausalmedizinische Erklärung ersetzt, sondern als symbolische Ergänzung gedacht ist – eine Haltung, die ich als äußerst verantwortungsvoll empfinde. In einer Zeit, in der ganzheitliche Ansätze wie Integrative Medizin oder Psychoneuroimmunologie an Boden gewinnen, erinnert uns das Buch daran, dass Astrologie als Werkzeug der Selbstreflexion und des Timings dienen kann, ohne dogmatisch zu werden. Stiehle warnt zudem vor der Gefahr der Selbstdiagnose und plädiert für eine interdisziplinäre Herangehensweise, bei der astrologische Einsichten mit konventioneller Medizin harmonieren.
Besonders wertvoll sind die anschaulichen Beispiele, die den theoretischen Rahmen greifbar machen: Ein Transit von Saturn über den MC kann eine schwere Krankheitsphase markieren, ein späterer Jupiter-Transit über denselben Punkt den Beginn der Genesung. Ein Mond-Transit im sechsten Haus mit Aspekt zu Mars oder Saturn kann mit akuten Beschwerden oder Entzündungen einhergehen, während eine Progression, die zeitlich exakt mit dem Symptombeginn zusammenfällt, als prägnanter Zeitmarker dienen kann. Das Buch geht darüber hinaus und bietet hypothetische Fallstudien, inspiriert von historischen Berichten: Stellen Sie sich vor, ein Dekumbitur mit Mond in Konjunktion zu Mars im Skorpion – ein Szenario für entzündliche Prozesse im Unterleib, das durch einen anschließenden Venus-Aspekt gemildert wird. Oder ein Beispiel aus Galenos' Praxis: Eine Fieberkrankheit, deren Höhepunkt der siebte kritische Tag markiert, wenn der Mond den Aszendenten des Dekumbiturs affiziert. Diese Illustrationen, unterstützt von den fünf Abbildungen (darunter Horoskop-Charts und Temperament-Diagramme), machen das Komplexe zugänglich und laden zum eigenen Experimentieren ein. Für Fortgeschrittene gibt es zudem Hinweise auf erweiterte Techniken, wie die Berücksichtigung von Teilern (Lots) oder die Integration von Fixsternen wie Algol für schwere Verläufe.
Insgesamt ist das Buch eine gelungene Synthese aus historischem Fundament, astrologischer Methodik und praktischer Anwendbarkeit. Es lehrt den Leser nicht nur, Krankheitsanfälligkeiten im Horoskop zu erkennen, sondern den gesamten Prozess – von der Manifestation bis zur Heilung oder zum Rückfall – astrologisch zu begleiten. Damit ist es sowohl für astrologisch-medizinische Praktiker als auch für historisch interessierte Leser ein sorgfältig aufgebautes, anregendes und praxisnahes Werk, das die Weisheit von Hippokrates und Galenos in ein heutiges Interpretationsmodell überträgt.
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