Es ist eine Ironie des Schicksals, dass in der Astrologie heute sehr wenig über das Werk jenes Mannes bekannt ist, der ihre Deutungsgrundlagen ganz entscheidend geprägt hat: Jean Baptiste Morin, der im Jahre 1630 als Professor der Mathematik an das Collège de France berufen wurde. Das Lebenswerk von Morin, an dem er mehr als 30 Jahre gearbeitet hatte, trägt den Titel ASTROLOGIA GALLICA, ein mächtiger in 26 Bücher eingeteilter Foliant. Sein Ausgangspunkt ist die Lehre des Ptolemaeus, dessen Werk er aber von allen mittelalterlichen Zusätzen und abergläubischen Regeln bereinigte und mit den Kenntnissen des 17. Jahrhunderts aktualisierte. Das Kernstück seiner astrologischen Theorie bildet die im 21. Buch der ASTROLOGIA GALLICA dargestellte Determinationslehre.
Im ersten Teil des 21. Buches untersucht Morin die Theorien über den Einfluss der Gestirne, die von Kepler und anderen Zeitgenossen vertreten wurden, und erläutert mit scharfer Logik, was er akzeptiert bzw. zurückweist. Im zweiten Teil beschreibt er sein Lehrgebäude im Detail. Dabei vertritt er die Auffassung, dass die ausschließliche Herrschaft der Planeten und Zeichen vorrangig zu behandeln sei und beschreibt alle Varianten anhand von eingängigen Beispielen. Insbesondere dieser Gedanke der Zeichenherrschaft der Planeten ist ein Grundbegriff im System nach Morin und gehört auch heute noch zum unabdingbaren Kenntnisstand des ausübenden Astrologen.
Der Herrscher eines Hauses steht in einem anderen Haus
Wir werden jetzt eine Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit in der beurteilenden Astrologie diskutieren, die bis jetzt von anderen Schriftstellern ignoriert wurde. Es wurde schon aufgezeigt, daß ein Planet nicht unabhängig von dem Zeichen wirkt, in dem er steht, sondern von diesem stets abhängt und das Zeichen ist ein Teil des Primum Caelum oder der ersten Ursache in der Natur und wurde in Übereinstimmung mit der gegebenen Natur der Planeten als initio mundi bezeichnet. Diese Abhängigkeit des Planeten vom Zeichen funktioniert wie eine Verbindung oder Partnerschaft und wird im Geburtshoroskop bestätigt, denn die Stellung im caelum übernimmt Bedeutung in Übereinstimmung mit seiner eigenen Natur und seiner Stellung in dem einen oder anderen Zeichen ? von welcher Beobachtung wir sagen, ein Planet stehe gut oder schlecht ? und diese Beziehungen werden bei dem Geborenen für dessen gesamtes Leben beibehalten. Durch die Stellung der Sonne im Wassermann wird z.B. die Natur der Sonne, während des gesamten Lebens des Nativen, in schlechter kosmischer Stellung gehalten. Und die Direktion der Signifikatoren zu diesen Stellen im Horoskop zeigt dies auf wie auch die Transite der Planeten über sie, denn transitierende Planeten wirken entsprechend der Natur und den Bedingungen der beteiligten Positionen, wie es die tägliche Erfahrung beweist.
Des weiteren hängt die Wirkung eines Zeichens immer von der Natur und der Qualität seines Herrschers ab, so daß dieser eigentlich als wirksame Ursache dessen angesehen werden muß; und wenn der Herr eines Zeichens auf irgendeine Weise von der Welt genommen würde, so könnte dieses Zeichen nicht länger als Zeichen wirken, sondern nur als ein Teil des Primum Caelum. Aus diesem Grund wird richtigerweise gesagt, daß ein Planet sein Zeichen regiert, über dieses den Vorsitz führt und auch das Haus beherrscht, in welches dieses Zeichen fällt ? in anderen Worten, daß er die wesentlichen Bedeutungen dieses Hauses beherrscht ? da ihre Entwicklung von eher diesem Herrscher als von einer wirksamen Ursache abhängt. Es wird weniger passend gesagt, daß er einen anderen Planeten regiert, der in seinem Zeichen steht, denn, wenn Mars nicht mehr in unserem Sonnensystem wäre, würde Jupiter, wenn er in diesem Teil des Caelum steht, das Widder genannt wird, nicht aufhören, entsprechend seiner Jupiternatur zu wirken; denn obwohl Widder und Jupiter ihre Qualitäten verbinden mögen, handelt doch jeder separat und entsprechend seiner eigenen Natur ? Widder kriegerisch, Jupiter großzügig-jovial ? so daß, wenn Mars fehlen würde, die marsische Qualität von Widder zu existieren aufhören würde, jedoch nicht die joviale Natur von Jupiter.
Aber, da ein Planet nicht nur in Zusammenhang mit seiner eigenen Natur, sondern auch mit seiner kosmischen Stellung wirkt, welche ständig durch Zeichen und Aspekte mit anderen Planeten variiert, hängt die Wirkung eines Zeichens von beidem ab, der Natur und der kosmischen Stellung seines Herrschers. Die Erfahrung belegt dies, denn falls der Herr des Aszendenten im Exil steht und in Konjunktion, Quadrat oder Opposition zu einem übeltäterischen Planeten, so prophezeit dies für die Bedeutungen des Aszendenten wenig Gutes.
Von hier aus folgt, daß ein Planet nur in Abhängigkeit von dem Zeichen wirkt, in dem er steht, und das Zeichen in Abhängigkeit von der Natur und Stellung seines Herrschers. Die Wirkung eines Planeten in einem Zeichen, das ihm nicht untersteht, hängt von der Natur und der kosmischen Stellung des Zeichenherrschers (Dispositor) ab; dies ist eine Tatsache, die man sich gedanklich immer vor Augen halten muß. Deshalb ist es so, daß man bei der Ermittlung der Angelegenheiten des Aszendenten, welcher für physische Konstitution, Charakter und Temperament steht, nicht nur den Herrscher des Aszendenten selbst in Betracht ziehen sollte, sondern - falls dieser nicht in seinem Domizil steht - ebenso den Herrscher des anderen Zeichens. Ich nenne diesen Planeten den Zweitherrscher des Aszendenten und er repräsentiert oft den Haupteinfluß, der die Angelegenheiten des Aszendenten gestaltet, und deshalb ist er ein hochsignifikanter Betrachtungspunkt bei der Deutung; und dasselbe gilt ebenfalls für den Herrscher des MC, die Sonne, usw. Jedoch geht niemand soweit, den Herr des Zweitherrschers so zu betrachten, als ob er irgendeine Wirkung hätte, sonst würde er in einem Teufelskreis enden; denn je mehr sich das Licht entfernt, um so schwächer wird es, und dasselbe gilt betreffend dieser Herrscher.
Leider sind noch keine Bewertungen vorhanden. Seien Sie der Erste, der das Produkt bewertet.
Sie müssen angemeldet sein um eine Bewertung abgeben zu können. Anmelden