Mondnacht
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nur träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
– Joseph von Eichendorff –
Mondenergie fasziniert den Menschen schon seit Urzeiten. Vielfach besungen und bedichtet, ist sie uns als eine Kraft bekannt, die uns die Welt unserer Seele erschließt. Der Mondschein inspirierte viele Dichter und Denker, sich verborgener Geheimnisse anzunehmen und tiefer in die Zusammenhänge zwischen Himmel und Erde einzudringen. Als magisches Bindeglied zwischen der Welt des Bekannten und Unbekannten wirkt die Mondin als Schwellenhüterin, als erste Stufe auf der Reise in das Unbewusste, in das, was hinter der sichtbaren Welt verborgen liegt. Hätte der Mensch keine Sehnsüchte, keine Hoffnungen, Wünsche und Visionen, würde er sich nicht weiterentwickeln und bemühen, seiner Seelenkraft zur Reife zu verhelfen. Es ist, als ob uns das silberne Mondenlicht heimlich riefe, in die andere Welt, das Ungewisse, Ungestaltete, Unsichtbare, um uns daran zu erinnern, dass Kräfte wirken, die unserem bewussten Zugriff entgleiten und die doch ein Muster weben, das sich als unsere Lebenserfahrungen, unser Lebensweg oder auch »Schicksal« gestaltet.
Mond gilt auch als uraltes Maß der Zeit. Die Mondkalender der Maya, Inder, Ägypter und anderer Urvölker teilten das Jahr in seinen natürlichen Rhythmus und bestimmten die Mondphasen so exakt, dass z.B. der Mondkalender der Maya, der auf Jahrtausende in die Zukunft berechnet wurde, von den heutigen Berechnungen der NASA-Computer nur bis auf wenige Sekunden abweicht. Mond entsteht wachsend und vermindert sich langsam. Aus diesem Rhythmus heraus bestimmt er das Wachstum der Pflanzen und entspricht dem Lebenslauf des Menschen, er rhythmisiert die Gezeiten des Meeres und die monatlichen Blutungen der Frauen.
Orientieren wir uns an der »Mondzeit«, entwickelt sich in uns ein Verständnis für zyklische Entwicklungsphasen. Wir erfahren das Jahr als Kreis, der über Geburt und Blüte, Ernte und Tod durch die Unterwelt zu neuem Leben, neuer Geburt führt. Die einzelnen Abschnitte dieser Erfahrung kennen wir als die 12 bzw. 13 Vollmonde, die ein Jahr gliedern. Diese dreizehn Mondzyklen können wir als Initiationsstufen während unserer Seelenreise begreifen. Indem wir ihnen Bedeutung schenken, wächst unser Verständnis für die Zeit, für Entwicklung und Wachstum. Wir lernen, uns dem natürlichen Rhythmus der Zeit anzupassen, anstatt ihn zu bekämpfen oder gegen ihn zu arbeiten. Parallel dazu vertieft sich unser Verständnis für die seelische Entwicklung. Unsere Seele wächst sozusagen organisch, spiralförmig – nicht linear, wobei wir geradeaus weitereilen und Angst haben, zu spät zu kommen. Das mondliche Zeitverständnis lehrt uns, bestimmte Lektionen ganz zu lernen, den Prozess von Erneuerung, Säen, Wachstum, Ernte und Loslassen, Sterben vollständig zu durchlaufen, um unsere Erfahrungen allmählich zu erweitern. Wir steigen nicht auf einer Leiter Stufe für Stufe in den Himmel, wobei wir alles Unangenehme allmählich hinter uns lassen, um irgendwann befreit zu sein, sondern lernen vielmehr wiederholt das Gleiche, wobei eher die Dimension unserer Erfahrungen zunimmt.
So wird jeder Monat zu einer kleinen Reise, die auch zugleich schon die nächste vorbereitet, wobei das Ende des einen Abschnittes schon den Anfang des nächsten in sich trägt. Jeden Monat wird der Mond voll und wieder leer, sehen wir ihn wachsen und wieder »sterben«, ein Vollmond geht in den Neumond über und dieser füllt sich wieder, um einen neuen Zeitabschnitt anzuzeigen.
Auch in unserem Seelenmaterial schlummern verschiedene Bildkräfte, die parallel zum rhythmischen Zeitablauf auftauchen, die wir erwecken, denen wir Form geben und die wir wieder loslassen können. Dieses Buch soll Anregungen geben, sich den Rhythmus der Mondzeit zu vergegenwärtigen, mit ihm zu arbeiten und durch ihn die Bilder des Unbewussten sprechen zu lassen. Ich möchte versuchen, eine Reise vorzuschlagen, die die Mondphasen nutzt, so dass wir zu einem tieferen Verständnis für uns selbst gelangen.
Heutzutage gibt es keine Priester und Priesterinnen mehr, die mit uns auf die Jahreszeiten abgestimmte Rituale abhalten. Trotz allem sind diese Rituale für uns wichtig, denn ohne sie fühlen wir uns unvollkommen, so als ahnten wir, dass irgendetwas fehlt. Wir können uns nur an alten Überlieferungen orientieren, diese auf unser heutiges Leben übertragen und sie dem Leben und Alltagsbewusstsein so anpassen, dass sie durchführbar sind, das Bewusstsein erweitern und die widerstreitenden Teile unserer Persönlichkeit verbinden. Die Magie der Neuzeit trägt ein anderes Gesicht als früher, und besonders jetzt im Wassermannzeitalter sind wir aufgefordert, uns selbst kreative Gedanken über unsere Spiritualität und unser seelisches Wachstum zu machen.
Ob wir ihm Aufmerksamkeit schenken oder nicht – Mond wirkt weiter: Zu Vollmond steigt der Blutdruck, sind wir ein wenig high, wird in den Kneipen mehr Alkohol konsumiert – der Körper reagiert und es liegt an uns, ob wir diesen Hochzustand nutzen, um geistig zu wachsen. Wir sind vom Mondlicht »berauscht« und können von diesem Zustand Gebrauch machen und uns erweitern. Bei Neumond dagegen dürfen wir uns die vorgesehene Pause gönnen, unserem Energietief nachgeben, dem Innen lauschen und unserer inneren Stimme folgen. Wir gehen in uns, um dann wieder aus uns herausgehen zu können, wir werden voll und wieder leer.
Etymologisch leitet sich »Mond« vom indoeuropäischen manas, mana oder men ab, was bedeutet: das weise, vom Mond regierte Blut der Großen Mutter. Bei den Griechen war menos gleichzeitig Mond und Kraft. Luna (lateinischer Name der Mondgöttin) regiert über Empfängnis und Wachstum. Monatlich durchläuft Luna das Himmelszelt und tritt dabei einmal in Konjunktion zu allen übrigen Planeten. In diesem Sinn gilt sie auch als Gefäß aller himmlischen Kräfte, »die Gattin aller Sterne«, und wird somit gleichsam zum Urphänomen der Verbindung. Sie fängt die kosmischen Kräfte wie eine Schale auf und gibt sie dann an die Erde ab, wirkt in dieser Funktion weiblich und männlich zugleich. Bei den Chinesen übernimmt der Mond die regulierende Vermittlung zwischen Ober- und Unterwelt, bei den Indern ist er der Sammelpunkt alles Erfreulichen und Lebensfördernden, Gebieter der Bäume und Pflanzen, der heilenden Kräuter. Er ist das göttliche Gefäß, das den Nektar des ewigen Lebens auffängt, Amrita, den Trank der Todlosigkeit. Er ist aber auch das Tor, durch das die Seelen der Verstorbenen in die himmlischen Gefilde gelangen.
Mond lehrt Tod und Wiederauferstehung, die Gesetze der ewigen Wiederkehr. Mit seiner Kraft kann man sich versenken, empfangen, träumen und inspiriert werden. Als »Mondkünstler« begreifen wir uns nicht als »Macher« oder Schöpfer, sondern als Empfänger von kosmischen Energien, die wir als Mittler weitergeben oder umsetzen. Leben wir »nach dem Mond«, geben wir es auf, uns selbst als alleinigen Mittelpunkt des Daseins zu begreifen, und öffnen uns der Einsicht, dass wir nicht viel mehr tun können, als unsere Kanäle zu reinigen, um eine saubere, klare Verbindung zwischen himmlischer Eingebung und irdischer Tat herzustellen. Alleine, ohne diesen bewussten Anschluss an das, woher wir kommen, vereinsamen wir, erkranken und vergessen – und begeben uns verzweifelt auf die Suche nach »dem Sinn«, während unser Hunger nicht gestillt wird. Wir gleichen dann Süchtigen, die vergessen haben, was sie suchen.
Eine Vereinseitigung der lunaren Kräfte kann zur magischen Fesselung, zu traumatischen Zuständen, zum Wahnsinn führen – Luna als Quelle der Gefühle bewirkt auch Versklavung und Bann.
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