Noch immer ist es weitgehend so, dass der angehende Astrologe nach einer ganz bestimmten Schulrichtung lernt und zeit seines Lebens bei eben dieser Methode bleibt, ohne sich allzu viel nach links oder rechts umzuschauen. Die Astrologie als solche existiert jedoch nicht. Es gibt verschiedene Schulen und Systeme, die oft nur intern bekannt geworden sind und deren Literatur zum Teil schwer zugänglich ist. Bei der mittlerweile recht offenen Forschungssituation aber ist Austausch zwischen einzelnen Schulrichtungen, sowie die gegenseitige Kenntnisnahme zu einem Muss geworden. Die vorliegende Monographie bietet erstmals eine Gesamtorientierung über die vielen Ansätze in der Astrologie und stellt deren Lehrmeinungen im Vergleich vor. Dadurch erschließt sich dem in einer Schule fortgeschrittenen Anfänger wie auch dem forschenden Astrologen die Vielfalt der astrologischen Methoden. Anhand zahlreicher Tabellen und Abbildungen lassen sich die verschiedenen Wege der Astrologie gut nachvollziehen und überprüfen.
Astrologie heute
Blickt man auf die Entwicklung der mitteleuropäischen Astrologie seit den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts zurück, so fallen zwei Dinge sofort ins Auge. Erstens ist allgemein der astrologische Beratungsbedarf gestiegen. Das heißt auch, dass sich der Bedarf an qualifizierten astrologischen Beraterinnen und Beratern erhöht hat. Zweitens ist die Forschungs- und Arbeitssituation innerhalb der Astrologie sehr viel offener und undogmatischer geworden. Vielfach praktizieren Astrologen bereits einen schulübergreifenden Pluralismus von Techniken und Beratungskonzepten.
Der Beratungsbedarf wächst: Es sind ja längst nicht mehr nur diejenigen, die sich aus irgendeinem Grund nicht oder nicht mehr zum Arzt, zum Psychotherapeuten oder zum Seelsorger trauen, welche astrologischen Rat in Anspruch nehmen. Mehr und mehr machen auch ganz durchschnittliche Bürger von der Astrologie Gebrauch, Menschen, die gezielt und kalkuliert nach Entscheidungshilfe Ausschau halten und dabei auch bislang als unorthodox geltende Beratungsangebote wahrnehmen. Der astrologische Buchmarkt expandiert gerade auch im Blick auf die populäre, dem Laien verständliche Fachliteratur. Die Rolle, die die Astrologie in den Medien spielt, hat sich in verhältnismäßig kurzer Zeit gänzlich gewandelt. Zwar gibt es nach wie vor billige Wochenzeitungen, welche auf beschämendem Niveau Astrologie und andere Grenzgebiete popularisieren und läppische Prognosen verbreiten. Doch zugleich ist die Astrologie im Laufe der letzten zehn Jahre in den Medien auf dem Niveau einer halbwegs intelligenten Unterhaltung angelangt. Von einem wissenschaftlichen oder beratungsorientierten Standpunkt aus kann man über Talk-Shows mit dem Thema Astrologie oder über opulent aufgemachte Populärzeitschriften wie Astro Venus streiten. Unstrittig aber ist, dass auch in solchen Talk-Shows und bei derartigen populären Zeitschriften ausgebildete und ernst zu nehmende Astrologen am Werk sind. Unstrittig ist auch, dass manch einer über derartige Medienangebote den Zugang zur Astrologie überhaupt erst findet. Auch von hier führt dann ein Weg zur seriösen und kritisch-selbstkritischen astrologischen Beratungstätigkeit.
Dass der Beratungsbedarf zunimmt, lässt sich auch an den Reaktionen verschiedener gesellschaftlicher Trendbeobachter feststellen. Die Zeitschrift Warentest nahm vor einigen Jahren (1988), erstmals auch Astrologen und deren Beratungsangebot unter die Lupe. Kirchliche Vertreter diskutieren verstärkt und keineswegs mehr nur in apologetisch-abwehrender Weise über Astrologie, wie auf katholischer Seite das schon 1980 erschienene Buch von Gerhard Voss, Astrologie ? christlich, belegt sowie auf protestantischer Seite die 1990 erschienene Darstellung Astrologie - Kosmos und Schicksal von Siegfried Böhringer. Der psychotherapeutische Markt, auf dem, nebenbei gesagt, auch viele Therapeuten mit guten Astrologiekenntnissen tätig sind, erörtert längst freimütig Anspruch und Wesen der Astrologie. Vorreiter war hier kein Geringerer als Fritz Riemann, einer der bekanntesten deutschen Psychoanalytiker, der schon 1976 sein Buch Lebenshilfe Astrologie veröffentlichte. Heutzutage ist die Astrologie nicht mehr ins öffentliche Schweigen verbannt, sondern sie wird zunehmend gesellschaftlich wahrgenommen.
Die öffentliche Resonanz, die die Astrologie seit einigen Jahren hervorruft, bedingt zugleich auch einen erhöhten öffentlichen Anspruch an die Qualität astrologischer Arbeit und astrologischer Forschung. Mehr und mehr wird das, was Astrologen tun und vertreten, öffentlicherseits beobachtet und damit kontrolliert. Der weiteren Entwicklung der Astrologie kann dies nur gut tun, denn das erhöhte Maß an öffentlicher Wahrnehmung und Beobachtung nötigt die Astrologie wie von selbst zu verstärkter Besinnung auf die eigenen Grundlagen und auf die eigene Praxis. Diese ?Nötigung? freilich trifft die Astrologie in einer durchaus eigentümlichen Forschungssituation. Die oben schon kurz angedeutete Entwicklung zu einem schulübergreifenden Methodenpluralismus kommt einerseits nicht von ungefähr. Der Bedarf an astrologischer Beratung hat sich ja nicht nur rein quantitativ erhöht, sondern auch hinsichtlich seiner Qualität und seiner Themenstellungen. Astrologische Beratung ist nicht mehr nur Schicksalsdeutung, als die sie gelegentlich noch verstanden wird - womöglich in der vulgärastrologischen Dreifaltigkeit von ?Liebe?, ?Gesundheit? und ?Finanzen?. Vielmehr umfasst astrologische Beratung mittlerweile fast alle Lebensbereiche des Menschen. Ratsuchende erwarten gegebenenfalls ins einzelne gehende Auskunft für schwierige persönliche Probleme. Astrologen, die in aller Regel ihre Aussagen aufgrund bestimmter Techniken gewinnen, müssen auf die zunehmende Komplexität der an sie gerichteten Anfragen entsprechend reagieren. Sie verfeinern ihre Techniken, sie ziehen Methoden aus anderen astrologischen Systemen heran, die für bestimmte Teilbereiche der Astrologie genauere Aussagen versprechen, sie kombinieren technische Ansätze, fangen an zu experimentieren. Wer z.B. von der klassischen Astrologie herkommt, wendet oft längst nicht mehr nur die sogenannten klassischen Techniken an. Er zieht auch nichtklassische Methoden heran, wie etwa die Sonnenbogendirektionen; oder es gibt Vertreter der Hamburger Schule, die mit zusätzlichen acht "Transneptun-Punkten" arbeiten, diese womöglich einfach ins klassische Horoskop eintragen, anstatt in allem die Technik der Hamburger Schule zu benutzen.
Zunächst einmal ist solch ein Pluralismus fragwürdig. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, es lasse sich alles astrologisch bewältigen und womöglich beweisen, wenn man nur genügend gute und funktionierende Techniken auf das Horoskop anwende. Eine solche Haltung übersieht leicht, dass zu einer guten astrologischen Beratung weit mehr gehört als nur das technisch-astrologische Verfügungswissen. Da sind zunächst einmal menschliche Qualitäten, ohne die jede Beratung scheitern würde: Einfühlsamkeit, Feingespür, Geduld, Zugewandtheit, Ehrlichkeit, Selbstvertrauen und Liebe. Und es bedarf auch der psychologischen Ausbildung im Beratungshandeln: Menschenkenntnis, Wahrnehmungsschulung, Gesprächsführung, Engagement und zugleich ?professionelle Distanz?.
Auf der anderen Seite aber führt eine technikorientierte und zugleich methodenpluralistische Haltung unter Astrologen auch zu einem wünschenswerten Abbau dogmatischer Verengungen. Denn durch solch eine pluralistische Einstellung wird der einzelne Astrologe offener, werden Berührungsängste zwischen einzelnen astrologischen Schulen und Systemen nach und nach abgebaut.
Nun ruft gerade der zunehmende Methodenpluralismus in der Astrologie nach einem kritischen Blick auf all die praktizierten Methoden und damit natürlich auch auf eine sorgfältige Besinnung auf die einzelnen Schulen und Lehrgebäude, aus denen die jeweiligen Methoden herrühren. Jedes astrologische System hat seinen theoretischen Rahmen, verfügt über bestimmte Grundannahmen. In dem jeweiligen Systemen sind diese Rahmensetzungen und Grundthesen unter Umständen recht unterschiedlich. Wer sich nur einer einzigen astrologischen Schule verpflichtet fühlt, kann für sich selbst notfalls auf eine kritischere Reflexion des in "seiner" Schule gegebenen Rahmens verzichten, weil er sich ohnehin keinen anderen Rahmen als triftig vorstellen kann. Wer aber in seiner eigenen astrologischen Arbeit viele oder gar die meisten astrologischen Schulen und Systeme wenigsten als Möglichkeit einbezieht, muss sich notwendig auch mit den jeweiligen Grundlagen und Rahmenbildungen der einzelnen Systeme auseinandersetzen. Und solche Auseinandersetzung kann nicht bloß im Sinn eines ausschließenden Verfahrens geführt werden, bei dessen wiederholter Anwendung schließlich nur die Grundlagen einer einzigen astrologischen Schule übrig bleiben. Vielmehr muss man die Begründungsversuche aller astrologischen Schulen zur Kenntnis nehmen und abwägen. Jede astrologische Schule und deren jeweiliger Begründungszusammenhang muss gleicherweise ernst genommen werden. Und letztlich muss jeder praktizierende bzw. forschende Astrologe für sich eine Synthese aus den verschiedenen Grundannahmen und Begründungszusammenhängen finden.
Damit wird jedoch recht rasch ein intellektuell wie psychologisch sehr unbequemer Zustand erreicht. Denn die Techniken unterschiedlicher astrologischer Schulen sind gegebenenfalls nicht nur in sehr geringem Maß kompatibel - und führen doch in der Deutung eines individuellen Horoskops in etwa auf gleiche Ergebnisse. Sehr deutlich ist das bei verschiedenen Anwendungen der klassischen Astrologie einerseits und der Hamburger Schule andererseits. Gelten denn, so muss die Frage lauten, beide Techniken gleichermaßen nebeneinander - so inkompatibel wie sie sind!? Unterliegt der Astrologe einer Selbsttäuschung, wenn er beide Techniken nebeneinander gelten lässt oder wenn er die eine Technik vor der anderen favorisiert? Und ist nicht dieses unbegreifliche Nebeneinander unterschiedlicher und inkompatibler Techniken überhaupt der Beleg dafür, dass es sich bei der Astrologie um einen großartigen Irrtum handelt?
Mehr noch, den unterschiedlichen technischen Ansätzen entsprechen unterschiedliche Grundannahmen. In der revidierten klassischen Astrologie gilt die Annahme, dass das Horoskop eine verhältnismäßig offene Strukturformel ist, die keineswegs von vornherein auf bestimmte Ereignisse orientiert ist. Die Astrologie der Hamburger Schule denkt ihrem Ansatz nach sehr stark ereignisorientiert. Beide Grundannahmen aber können für sich gute Argumente ins Feld führen.
Die zunehmende gesellschaftliche Resonanz der Astrologie steigert auch den astrologischen Beratungsbedarf. Gesteigert wird zugleich der Bedarf an qualifizierter Beratung. Dies wiederum führt, wie wir gesehen haben, zu einer offeneren, undogmatischeren, experimentierfreudigeren Grundhaltung der praktisch arbeitenden Astrologen. Doch noch fehlt es an einer intensiveren Kenntnisnahme und Reflexion der in den einzelnen astrologischen Schulen und Systemen gemachten Voraussetzungen und benutzten Methoden, weil sich die Astrologie aus verschiedenen organisatorischen und wissenschaftspolitischen Gründen eine eigene Forschung, insbesondere eine eigene Grundlagenforschung kaum leisten kann.
Mit Blick auf die offene und undogmatische, pluralistische ?Arbeitslage? der Astrologie und ebenso mit Blick auf die hier skizzierten Entwicklungen und Erwägungen möchte ich in der vorliegenden Arbeit einen kritischen und auch vergleichenden Überblick über die wesentlichen Schulen und Systeme in der Astrologie und ihrer jeweiligen Grundvoraussetzungen sowie ihre technischen und methodischen Eigenheiten geben. Der durchschnittliche Astrologe ist zumeist einer einzigen Schule verpflichtet, in der Regel derjenigen, bei der er sein Handwerk erlernt hat. Meist ist es schwierig und zeitraubend, Basisinformationen über die Techniken und die Denkansätze anderer astrologischer Schulen zur Kenntnis zu nehmen. Bislang fehlte es an einer Gesamtdarstellung der wichtigen Schulen und Ansätze in der modernen Astrologie, in der nicht nur rein technische Informationen, sondern auch Vergleich und gegebenenfalls Kritik angeboten wurden. In der Regel sorgen die einzelnen Schulen und ?Erfinder? selbst für die publizistische Verbreitung ihrer Lehrmeinungen. Selten genug also kommt es zu einer wirklich kritischen und vergleichenden Aufarbeitung der einzelnen Modelle und Techniken. Dabei bedarf der in einer einzigen Schule etwas fortgeschrittene Astrologieanfänger ebenso wie der interdisziplinär interessierte und forschende Astrologe einer Gesamtorientierung, die die vielen Ansätze in der Astrologie erschließt und die gewissermaßen eine ?Landkarte? auf dem unübersichtlichen Terrain der astrologischen Techniken und Methoden anbietet.
Dieses Buch will Orientierung in den verschiedenen Schulen und Systemen geben, will gewissermaßen das komplexe und eigenwillige "Leben der Astrologie" ordnen und strukturieren. Gerade diese Lebendigkeit verdient, wie ich meine, die Aufmerksamkeit der arbeitenden und forschenden Astrologen, auch da, wo wissenschaftliche oder weltanschauliche Kritik angebracht ist. In diesem Sinn bemüht sich diese Arbeit bei aller Subjektivität um eine objektive, kritische, aber zugleich zugewandte und hoffentlich verstehensbereite Grundhaltung.
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